Tatort

Man hätte es sich denken können: Es riecht nicht gut.
Ich denke an Orangen. An Mutters Schweinebraten. An Großmutters Callalou.
Daran, wie der Wald eigentlich riechen sollte.
Ich denke an Weihrauch, wovon mir übel wird.
Ich denke an Hennings Öko-Zigaretten, an Frau Müllers Parfum und an Josies Räucherstäbchen. Meine Güte, das ist so achtziger, Räucherstäbchen. Überhaupt ist Josie wie aus einer anderen Zeit.
Ich liege da, mit offenen Augen, exakt so, wie es im Buch steht, in den viereinhalb Zeilen, die mir gelten.
Von mir ist auch nicht mehr so viel übrig, aber das Fehlende wird glücklicherweise erst nachher weggerechnet.
„Haha, du darfst alle Gliedmaßen behalten“, hat der Typ gemeint, der mich für die Rolle gecastet hat. „Dürfte beruhigend sein, zumal dir neben dem rechten Arm nachher auch die Eier fehlen werden. Haha.“
Gesucht wurde ein „Komparse ohne Text für eine deutsche Primetime-Fernsehproduktion, 20-25 Jahre, dunkle Hautfarbe, gerne Rasta oder Dreadlocks“.
„Achtung! Und bitte!“
Ich bin ein Asylbewerber, den der rechte Mob gemeuchelt hat. Weil sie wohl von irgendetwas gestört worden sind oder einfach die Lust am Zerstückeln verloren haben, ist mein linker Arm noch dran, nur leicht angesägt.
„Ach Du Scheiße“ sagt also Kommissar Kopper. „Schon wieder einer. Aber diesmal ist ja noch ein bisschen mehr dran.“
Kommissarin Odenthal: „Scheiße. Wir haben eine Serie.“
„Und Danke!“
Atmen, Blinzeln. Heimlich mit den Füßen wackeln.
Alles muss unverändert bleiben. Das Laub um mich herum. Meine Haare. Ich.
Odenthal und Kopper werden im Laufe der Geschichte herausfinden, dass ich von Nazis gemeuchelt worden bin, weil ich mit einer Deutschen im Bett war und anschließend mit ihr turtelnd durch den Park gelaufen bin. Ich würde sagen, es war Liebe, aber das ist genauso ungeklärt wie mein Asylstatus. Im Buch steht jedenfalls nichts dazu, und die Frau, um die es geht, hab ich leider nicht kennen gelernt, weil die Sache mit ihr und mir leider erst hinterher erzählt wird, als sie den Nazi endlich haben und verhören.
Ich hatte auch mal eine sehr blonde, sehr teutonisch aussehende Freundin. Kurze, fast weiße Haare. Fantastische breite Wangenknochen. Eine, die sofort für Vikings gecastet worden wäre. Wir sind in der zwölften und dreizehnten Klasse miteinander gegangen. Dann wollte sie aber lieber mit einer aus der Stufe drüber zusammen sein, in etwa meine Hautfarbe, aber mit hellen Locken bis zum Po und einem unglaublichen Arsch.
Dann lief lange nix Festes, bis ich im zweiten Semester Architektur auf der ASTA-Party Atsuko kennengelernt hab. Jetzt macht sie gerade ein Auslandssemester in Bologna. Während ich mir die Zeit im Wald vertreibe.
Im Drehbuch stand, wie gesagt, nicht so viel zu mir. Sowas wie: Im Fichtenwald liegt ein dunkelhäutiger Mann, Anfang zwanzig, tot, die Leiche ist entstellt, aber gut als Afrikaner oder Ähnliches (Asylbewerber) zu erkennen.
Es ist meine dritte Rolle, seit ich mich vor zwei Jahren bei der Agentur gemeldet habe. Bei meinem ersten Engagement war ich der Bassist einer Band, die in einem Club spielte in dem die Tochter der Protagonistenfamilie von ihrem späteren Vergewaltiger angesprochen wird. Eine Vorabendserie, die täglich ausgestrahlt wird. Ich hatte sogar einen Satz. Wir machen Soundcheck, als zwei Typen reinkommen und sagen: „Ruhe mal eben!“ Ich sage: „Wer sagt das?“ Und der eine Typ sagt: „Die Polizei. Wo ist der Besitzer des Clubs?“
Ich spiele nicht Bass, aber das war für die Rolle nicht relevant. Ich habe mal Fagott gespielt. War sogar mal bei Jugend musiziert.
Dann war ich ein Dealer im Park. Diesmal ganz ohne Text, und nur in einer Einstellung im Hintergrund zu sehen.
Trotz der Isolierfolie unter mir wird es allmählich von unten her kalt. Insgesamt ist es schon die ganze Zeit irgendwie feucht. So riecht es ja auch. Modrig feucht. Über meine Hand krabbelt etwas, das aussieht wie eine Assel. Eine Assel, die eine Assel spielt.
Ich denke an Mamas Fichtennadelbad. Was für ein Nepp. Ich liege im Fichtenwald, und es riecht, wie der Müll riecht, wenn zum Beispiel eine verschmierte Hackfleischverpackung etwas länger drin liegt.
„Achtung!“ Der Aufnahmeleiter mit seinem Aufnahmeleiterton.
Jemand in einem Anzug, wie man sie in Atomkraftwerken trägt, nimmt meine Hand, dreht sie hin und her, guckt sich die Fingernägel an, legt die Hand wieder ab und streicht vorsichtig das Laub zur Seite, das auf meinem Unterleib liegt.
„Ach du Scheiße“ sagte Kopper wieder.
Ich hab die ganze Zeit mit heruntergelassener Hose dagelegen, weil mir, wie gesagt, die Nazis die Eier abgeschnitten haben.
Muss ziemlich übel ausgesehen haben. Lena Odenthal dreht sich angewidert zur Seite.
Mir ist das Ganze in dem Moment ziemlich unangenehm, wegen der hautfarbenen Thermounterhose. Ich bin froh, dass keiner von meinen Kumpels mich jetzt sieht. Hey, Bobbie! Voll sexy! Und ähnliche Sprüche.
Ich heiße Brian, nach Brian Lara, dem Kricketstar aus Trinidad, dessen Riesen-Fan mein Vater war, aber alle nennen mich Bob, wegen Bob Marley, wegen der Frisur, die ich mit vierzehn hatte.
„Das waren keine normalen Rassisten. Das waren Sadisten“, sagt der Typ im Strahlenschutzanzug.
„Was zum Teufel wären denn wohl normale Rassisten?“ knurrt Kopper.
„Und danke!“
„Kannste noch?“
Ich rieche ein Gemisch aus Zahnproblemen und abgestandenem Filterkaffee. Der Aufnahmeleiter beugt sich ganz nah über mich. „Nur noch ein paar Details, dann bist du abgedreht. Die Maske nochmal. Bitte!“
„Zum tausendsten Mal: Anja. Ich heiße AANNJJAA!“
„Ist ja gut. Für mich seid Ihr eben die Maske. Da, das Blut am Mund bröselt weg. Und der Bluterguss für die Nahe noch mal schön. Bitte.“
Anja duftet nach Dr. Hauschka Rosenöl. Das kenn ich gut von Atsuko, die jetzt in Bologna nach Rosen duftet.
„So, Süßer, jetzt machen wir dich noch mal schön.“ Ihre Hände riechen nach was Medizinischem. Sie hat ein tolles Dekolleté und lächelt vor sich hin, während sie mit einem feinen Pinsel eine Linie aus Kunstblut von meinem linken Mundwinkel zum Kinn zieht. „So, jetzt noch ein bisschen Hämatom… Kai, wie lange liegt der noch mal hier? Schon grün oder noch rot-blau?“
„Grün passt!“
„Ein Jammer. Du hast so eine leckere Hautfarbe. Wie Haselnussnougat. Dass einer das nicht mögen kann…“
„So’n hübscher Kerl“ sagt sie im Weggehen.
„Ich wusste ja gar nicht, dass du auf Schokocrossies stehst. So, jetzt noch einmal alle Konzentration … und bitte.“
Augen auf, Atmen einstellen. Ich denke an Ella, meine Kindergartenfreundin. „Warum siehst du aus wie Schokolade? Schmeckt das auch nach Schokolade, wenn ich an dir lecke?“ Ellas Zunge an meinem Unterarm, den ich ihr hingestreckt habe.
„Wenn man sich vorstellt, was der alles hinter sich gebracht hat, um hierher zu kommen.“
„Mann Lena, nicht so sentimental. Dort hätte ihn der Bürgerkrieg gemeuchelt, hier sind’s die Nazis.“
„Ja, und? Macht das die Sache irgendwie besser?“
„Und danke!“
„Alex?“
„Wir haben alles.“
„Helge?“
„Alles bestens.“
„So Süßer, du darfst dein kuscheliges Lager verlassen.“
Anja streckt mir eine Hand entgegen und zieht mich hoch. Ich ziehe erstmal die Jeans hoch. Anja legt mir eine Decke um. Ich versuche zu lächeln. Die Schminke reißt.
Hier oben riecht es anders.
Nach frischem Holz, und ein bisschen nach Dr.Hauschka-Rosenöl.